50 Jahre Büchsenwurf Gladbach Opfer von historischem Inter-Mailand-Beschiss? Augenzeuge: „Cola-Dose hat Boninsegna nicht am Kopf getroffen!“
Mönchengladbach. Borussia-Park. Montagabend (18. Oktober 2021). Es ist 19.47 Uhr. Rund 100 Gäste im Raum Büchsenwurf des Gladbacher Stadions hören genau hin, als Volker Klüttermann zig Details zum 20. Oktober 1971 verraten kann. Der 77-Jährige spricht mit ruhiger, eher leiser Stimme. Er habe gesehen, sagt er, was sich in dem Moment ereignet hatte, als eine Coca-Cola-Dose den ehemaligen Inter-Mailand-Star Roberto Boninsegna (77) am Kopf getroffen und so verletzt haben soll, dass dieser später mit einer Bahre vom Platz des legendären Bökelbergstadions getragen wurde.
Gladbach zerlegt 1971 Inter Mailand, aber die UEFA annulliert das Spiel
„Ich kann die Darstellung von Inter Mailand und von Roberto Boninsegna nicht bestätigen“, sagt Klüttermann. Boninsegna war 1971 bei Borussias 7:1 gegen Inter im Europapokal der Landesmeister von der Büchse getroffen worden und anschließend zu Boden gegangen.
Die UEFA annullierte später dieses Ergebnis und somit eine rauschende Fohlen-Nacht, die Gladbachs Welt- und Europameister Rainer Bonhof (69) als „Borussias bestes Spiel jener Dekade“ bezeichnet.
Borussias Demontage der Italiener im Achtelfinale, das 7:1, ist in keiner offiziellen Wertung der UEFA mehr zu finden.
Wegen des Büchsenwurfes hatte die Disziplinarkommission der UEFA den schwarz-weiß-grünen Fußballrausch kurzerhand aus der Statistik gestrichen. Nach einem 2:4 im Rückspiel in Mailand und einem 0:0 im Wiederholungsspiel am 1. Dezember 1971 im Berliner Olympiastadion schied Borussias gegen den Italien-Klub schließlich aus.
Die Aussagen des damaligen Augenzeugen Klüttermann – die UEFA hat sich dafür nie interessiert.
GladbachLIVE hat bei dem 77-Jährigen, der in den Borussia-Park am Montagabend gekommen war, um an einem Talk-Abend rund um das neu erschienene Buch „Der Büchsenwurf vom Bökelberg – die ganze Geschichte“ teilzunehmen, nachgehakt.
Klüttermann, der beim Büchsenwurf-Spiel 1971 zum Sicherheitspersonal auf dem Bökelberg gezählt hatte, beteuert: „Die Cola-Dose hat Roberto Boninsegna nicht am Kopf getroffen. Mir ist es bis heute ein Rätsel, wie bei ihm eine Gehirnerschütterung diagnostiziert werden konnte.“
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Klüttermann sagt, er sei damals 26 Jahre alt gewesen, als er die Szenen auf dem Bökelberg hautnah verfolgen konnte. „Die UEFA hat meine Aussage damals nicht interessiert. Ich bin nie gehört worden. Ich hätte eine eidesstattliche Versicherung abgegeben. Auch heute würde ich das noch tun.“
Klüttermann sagt, er habe aus unmittelbarer Nähe gesehen, wie die Büchse Boninsegna am seitlichen Nacken- und Halsbereich statt am Kopf getroffen haben soll. Die Büchse habe im Anschluss auch eine Flugbahn genommen, die nur eine leere und nicht volle Dose habe nehmen können. Klüttermann behauptet: „Die Büchse war leer, nicht voll.“
Er berichtet weiter: „Boninsegna wollte nach dem Vorfall zunächst weiterspielen. Ich habe gesehen, wie er von Betreuern und Kollegen von Inter Mailand mehrfach aufgefordert worden ist, sich hinzulegen. Er wollte sogar von der Bahre wieder springen und weiterspielen, da haben sie ihn mehrfach nach unten gedrückt und auf ihn eingeredet. So verhält sich niemand, der von einem Gegenstand schwer getroffen, verletzt und schwer benommen sein soll.“
Boninsegna bleibt auch nach 50 Jahren bei seiner Darstellung der Ereignisse zum Büchsenwurf-Spiel. „Immer wieder wird mir in Deutschland unterstellt, die Verletzung nur gespielt zu haben. Das stimmt nicht, ich habe nicht geschauspielert. Die Dose hat mich am Kopf getroffen, und ich bin bewusstlos zu Boden gefallen.“
GladbachLIVE fragt Augenzeuge Klüttermann: Würden Sie der Aussage Boninsegnas widersprechen? Antwort: „Ja!“
Gladbach-Legende Wolfgang Kleff (74), damals Torhüter der Fohlen-Elf, kann dem Büchsenwurf-Spiel dennoch etwas Positives abgewinnen. „Auch wenn es bis heute schmerzt, dass sie uns das Ergebnis weggenommen haben. Aber dieses Spiel ist gewinnbringend für Borussia Mönchengladbach gewesen. Dieses Spiel gehört zur DNA der Borussia. Es wird über kein 3:0 gegen Bayern München oder ein 4:0 gegen Köln gesprochen, sondern vom 7:1 gegen Inter Mailand. “
Kleff betont weiter: „Und das muss im Nachhinein auch mal gesagt werden.“
Borussias Vizepräsident Bonhof stimmt zu: „Das ist das Großartige: Wir sind alle im Raum Büchsenwurf, in unserem neuen Stadion, und reden nach 50 Jahren immer noch über dieses Spiel. Und wir sprechen über eine Gladbacher Elf, die die Weltklassemannschaft von Inter Mailand 7:1 – heute würde man wohl sagen – weggefackelt hat.“
Kleff: „Vor dem Spiel war es für uns absolut ausgeschlossen, dass wir diesen Weltklub mit 7:1 oder einem ähnlich hohen Ergebnis schlagen können.“
Kleff ist überzeugt: Die Inter-Stars hatten 1971 das Duell bei der seinerzeit aufstrebenden Fohlen-Elf gewaltig unterschätzt. „Sie dachten, Mönchengladbach würde irgendwo bei München liegen. Die hatten Mönchengladbach auf keiner Landkarte.“
Bonhof: „Das war das Spiel der Spiele. Nach diesem Abend wurde europaweit Mönchengladbach unfallfrei ausgesprochen.“
Auch wegen der Büchsenwurf-Nummer vom Bökelberg.
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Kleff: „Wir hatten schon während des Spiels und erst recht danach kein gutes Gefühl. Die Nähe der Italiener zur UEFA war ja auch kein Geheimnis. Wir wussten: Da kommt was auf uns zu. Die Mailänder würden nach diesem 1:7 mit Sicherheit etwas daraus machen, das war ja eine Demontage vom großen Inter Mailand. Und so passierte es dann ja auch.“
Die UEFA hatte sich 1971 nicht mal die Mühe gemacht, Augenzeugen wie Sicherheitsmann Klüttermann vorzuladen.
50 Jahre später sagt Wolfgang „Otto“ Kleff mit einem versöhnlichen Augenzwinkern im Gladbacher Borussia-Park zum Thema Büchsenwurf: „Dieses Spiel, dieses Ergebnis, die ganzen Umstände dieses Abends am Bökelberg führen dazu, dass noch sehr lange über dieses Spiel gesprochen wird. Zum 100-jährigen Treffen kommen wir hoffentlich auch wieder alle so zusammen.“