Exklusiv-Interview Borussias Torwart-Legende Kamps: Sommer ist ganz oben mit dabei
Mönchengladbach - Seit fast 38 Jahren ist Torwart-Legende Uwe Kamps (55) eng mit der Borussia verbunden. Im GladbachLIVE-Interview spricht der Torwarttrainer über den kommenden Gegner Union Berlin (15.30 Uhr), die Planungen auf der Torwartposition, den verliehenen Moritz Nicolas (22) und die Entwicklung von Gladbachs Nummer eins Yann Sommer (31).
Uwe Kamps, es ist ein seltenes Bild seit dem Restart der Bundesliga: Sie sitzen bei den Spielen nicht auf der Bank.
Genau. Steffen Krebs macht ja schon seit anderthalb Jahren das Aufwärmen mit Yann Sommer. Dementsprechend ist das sein Part. Durch die personellen Begrenzungen kann nur ein Torwarttrainer dabei sein.
Verbringen Sie die Spiele also auf dem Sofa?
Ich sitze tatsächlich zu Hause vor dem Fernseher. Das Schöne ist, dass man von dort super analysieren und ich Steffen sofort gute Infos schicken kann. Man hat mehrere Wiederholungen, da sieht man schon mega viel und kann sich ein paar Dinge notieren.
Steffen Krebs macht das Aufwärmprogramm, Ihr Job ist es seit Jahren auch, sich um die Ein- und Auswechslungen zu kümmern. Hat Ihr Kollege erst mal eine Einführung an der Tafel bekommen?
Die ist zum Glück nicht ganz so schwierig. (lacht) Mit der neuen Regel kommt es nur öfter vor, dass du zwei, drei Wechsel direkt nacheinander eingeben musst. Das habe ich ihm noch mal gezeigt. Als ich damals ein neues Hüftgelenk bekomme habe, hat Steffen das aber auch schon übernommen. Von daher gibt es da kein Problem.
Zucken Sie nach 19 Jahren eigentlich noch zusammen, wenn es heißt, jemand will mit Ihnen über Union Berlin sprechen? Borussia hat damals als Zweitligist das DFB-Pokal-Halbfinale beim Drittligisten im Elfmeterschießen verloren.
Das ist zum Glück lange her. Sagen wir’s so: Wir haben die gute Stimmung an der Alten Försterei schon sehr früh mal miterleben dürfen.
Im Hinspiel beim 0:2 zu Ihrem Leidwesen dann noch einmal.
Das stimmt, wenn auch in einem anderen Rahmen, da sich das Stadion enorm weiterentwickelt hat. Gefühlt sind die Fans noch näher dran. Die Unioner sind schon eine Macht, was dieses Umfeld angeht.
Und leiden jetzt besonders unter der Abwesenheit ihrer Fans.
Die Zuschauerunterstützung dürfte ihn schon sehr abgehen. Auch auswärts haben sie viele Fans dabei, weil alle beim ersten Mal erste Liga dabei sein wollen. Aber am langen Ende geht es allen Mannschaften so.
Sie standen 2001 mit Max Eberl, Steffen Korell und Arie van Lent auf dem Rasen. Der eine ist Manager, der andere Chefscout, van Lent hört am Saisonende als U23-Trainer auf. Wem hätten Sie damals am ehesten zugetraut, im Jahr 2020 noch für Borussia zu arbeiten?
Ich hatte schon die Fantasie, mal etwas in einem anderen Bereich im Verein zu machen. In meinem Vertrag stand auch etwas drin von einem Anschlussvertrag. Also hätte ich mich allein vom Alter her am ehesten da gesehen. Dass die anderen gefolgt sind, ist schön. Man muss bedenken, dass ich aus der Gegend komme. Arie kam aus Bremen, Max aus Fürth und stammt aus dem Münchner Raum, Steffen aus der Nähe des Saarlandes.
Keine waschechten Niederrheiner also.
Genau, und ich war eben der, der aus der Region kam und am ältesten war zu dem Zeitpunkt. Dass die anderen dem Klub und dem Niederrhein so verbunden geworden sind, ist eine tolle Entwicklung. Das spricht auch für Borussia und die Region.
Sie sind jetzt 55 Jahre alt. Wie sieht Ihre Zukunftsplanung aus? Sagen wir es so: Sie wirken noch nicht müde.
Ich habe auch noch jede Menge Dinge vor. Wir sind immer im Austausch, was sich verändern kann. Mein Vertrag ist nicht zeitlich begrenzt, sondern fortlaufend. Ich bin ja seit 38 Jahren im Verein. Mein Arbeitsleben möchte ich natürlich gerne hier zu Ende bringen und hier in Rente gehen. Mal schauen, wie sich die Aufgabe im Torwartbereich anpasst und verändert. Aber im Moment bin ich gerne noch aktiv mit auf dem Platz, bin bei den Profis dabei, kann mich um die Nummer drei und die Talente kümmern, während Steffen die Spielformen mit der Nummer eins und zwei betreut. Ich schaue bei der Jugend drauf, kümmere mich um die Torwarttrainer. Das ist mittlerweile eine eigene Abteilung geworden.
Klingt, als sei Ihr Job in den vergangenen Jahren noch reizvoller geworden.
Seit meiner Anfangszeit als Torwarttrainer hat sich alles enorm entwickelt. Wenn ich momentan nicht bei den Spielen dabei bin, nutze ich die Zeit für Trainingseinheiten mit Max Grün, unserer Nummer drei, und den Talenten Jan Olschowsky und Jonas Kersken an den Spieltagen. Man merkt in dieser Situation, dass das super ist für die Jungs. Wir sehen uns, ich kann berichten, wie die Talente drauf sind. Es gibt also jede Menge zu tun: Spiele analysieren, neue Talente finden, Lehrgänge besuchen.
Union Berlin ist aus Torwarttrainer-Sicht ein besonders interessanter Gegner für Sie. Vor der Saison hat Borussia Moritz Nicolas für zwei Jahre dorthin verliehen. Wann hatten Sie zuletzt Kontakt zu ihm?
Steffen Krebs und ich sind im regelmäßigen Austausch mit ihm. Wir haben alles im Auge. Natürlich hatten wir gehofft, dass er dort mehr zum Spielen kommt und sich weiterentwickelt. Dafür sind Ausleihen gedacht. Bei uns hat er regelmäßig Regionalliga gespielt, war richtig gut und stand gefühlt über den Dingen. Deshalb der nächste Schritt, der gemacht wurde, bevor klar war, ob Union erste oder zweite Liga spielt.
Leider, aus Ihrer Sicht, sind sie dann aufgestiegen in der Relegation.
Das stimmt. Rafal Gikiewicz, ihr Aufstiegstorwart, hat es gut gemacht und sich erst mal die Chance verdient in der Bundesliga. Für Moritz ist es trotzdem ein Schritt nach vorne, weil er immer bei den Spielen dabei ist und im Training als Nummer zwei in den Spielformen. Hier war er die Nummer drei, es gibt also einen Mehrwert. Aber er muss irgendwann wieder auf die grüne Wiese. Deshalb hatten wir gehofft, dass Union in dieser Saison früh gesichert ist und er vielleicht ein paar Spiele bekommt – Geisterspiele zwar, aber eben Bundesligaspiele. Jetzt müssen wir abwarten, wie sich das entwickelt.
Wie sehr hat Sie die Nachricht aufhorchen lassen, dass Gikiewicz am Saisonende geht?
Wir müssen jetzt sehen, wer geholt wird: Eine richtige Nummer eins oder wird ein offener Zweikampf draus, in dem Moritz gute Chancen hat? Das müssen wir alles besprechen und dann entscheiden, wie es weitergeht.
Andere Vereine beobachten sicher auch genau, was mit einem ehemaligen U21-Torwart passiert.
Das ist sicher eine Möglichkeit, wenn er gar nicht ans Spielen kommt. Dann müssen wir gucken, dass wir das vielleicht anders hinbekommen.
Sie trauen Nicolas aber sofort die Bundesliga zu?
Natürlich, deshalb haben wir die Entscheidung so getroffen. Er ist ganz klar für uns ein Torhüter für die Zukunft.
Yann Sommer, Tobias Sippel, Max Grün, Jan Olschowsky – würden Sie die Rangfolge in der kommenden Saison gerne so beibehalten? Grüns Vertrag läuft aus.
Mit ihm ist der Verein in Gesprächen. Und Jan Olschowsky ist noch sehr jung, hat als U19-Torwart schon U23 gespielt. Das hat er sehr ordentlich gemacht und ist auf einem super Weg. In der Corona-Zeit war er oft beim Training, weil wir uns absichern wollten, falls etwas passiert. Dadurch hat er einen guten Sprung in der Entwicklung gemacht. Im nächsten Jahr soll er wieder U23 spielen und es noch besser, noch stabiler machen. Dann kann er in Zukunft einer der Kandidaten sein, der oben richtig mit reinrutscht.
Ist Olschowsky ein Talent, das Sie – ähnlich wie einst Marc-André ter Stegen – besonders hegen und pflegen? Er kommt aus der Nähe von Mönchengladbach und spielt seit der U9 für Borussia.
Wir investieren insgesamt viel in die Abteilung und schauen, dass wir immer gute Talente dazubekommen. Im Moment sieht das ganz gut aus. Wir wollen es schaffen, zumindest die Position zwei und drei in der Zukunft aus den eigenen Reihen zu besetzen. Wenn es ans Spielen geht, so wie bei Marc, natürlich liebend gerne. Daran arbeiten wir sehr intensiv im Team.
Wollen wir mal über Ihre Nummer eins sprechen: Yann Sommer hat in Bremen die erste weiße Weste des Jahres geschafft. Wie sehr wurmt es einen Torhüter, wenn so lange nicht die Null steht?
Vordergründig ist, dass die Leistung stimmt. Und das war die gesamte Saison so. Wir haben uns vom Spielstil weiterentwickelt, dadurch sind wir aktiver und offensiver unterwegs. Für die Torhüter entstehen deshalb mehr Momente, in denen man mal einen kriegen kann.
Am Dienstag in Bremen gab es zwei brenzlige Ausflüge von Sommer. Wie war es dabei um Ihren Puls vor dem Fernseher bestellt?
Bei Yann bin ich immer sehr ruhig, weil ich seine Fähigkeiten kenne und weiß, wie gut er da ist. Vor allem hat er uns am Ende den Punkt festgehalten. So eine Sache wie dieses Dribbling muss nicht sein, aber gehört auch mal dazu. Beim nächsten Mal wird er so einen Ball sicher lang spielen. Dafür hält er Rashicas Freistoß vorher überragend und danach Friedls Nachschuss mit der Fußabwehr. Bei solchen Dingen hat er sich auch toll entwickelt. Von daher war das ein sehr gutes Spiel von ihm, wie die gesamte Saison.
Er ist auch von echten Legenden gelobt worden. Peter Schmeichel hat ihn als „einen der meist unterschätzten Torhüter Europas bezeichnet“, Oliver Kahn hat ihn sogar in die „Weltklasse“ gehoben. Was können Sie mit diesen ganzen Prädikaten anfangen?
Natürlich spricht man im Torwartgeschäft darüber. Wir bewegen uns seit fast zehn Jahren auf höchstem Niveau. Erst mit Marc, dann mit Yann, der super gepasst hat, um dieses Spielerische beizubehalten. In der europäischen Spitze sind beide ganz weit vorne zu finden. Es ist super, dass wir zwei so Topleute hatten und immer noch haben. Deshalb stimmt es, was Schmeichel gesagt hat, dass Yann immer etwas unterschätzt wird. Mit seinem Paket ist er ganz oben mit dabei in Europa.
Inwiefern kann sich Borussia sogar ein bisschen darüber freuen, dass Yann Sommer ein wenig unter dem Radar fliegt? So ein Torwart dürfte für die absolute Spitzenklasse interessant sein.
Das denke ich auch. In einer Phase, in der es insgesamt im Klub gut läuft, hat Max Eberl es geschafft, das Ding mit Yann festzuzurren, sodass wir ihn bis 2023 sicher haben. So einen überragenden Torhüter noch so lange zu haben, ist toll.
Wird er am Sonntag der erste Torwart, der mit Borussia gegen Union Berlin gewinnt?
Es wird Zeit. Aber es ist ja auch das erste Heimspiel gegen Union. Leider ohne Zuschauer.
Aber Sie sind sicher zumindest als Pappkamerad mit dabei.
Ich stehe in der Nordkurve, natürlich. Es ist eine coole Idee. Sie bringt zwar keine Atmosphäre, was die Lautstärke angeht, aber die Wirkung ist schon beeindruckend. Auch wenn die Situation sehr speziell ist.