„Dürfen uns nicht anstecken lassen“ Borussias Super-Ösi mit dem Anti-Angst-Appell
Mönchengladbach - Bei Borussia ist nach dem 0:2-Fehlstart in die Rückrunde auf Schalke Wiedergutmachung angesagt. Doch gerade jetzt muss Stefan Lainer (27) gegen den FSV Mainz (Samstag, 15.30 Uhr) zuschauen (fünfte Gelbe). Der Rechtsverteidiger hat sich seit seinem Wechsel aus Salzburg (für zwölf Millionen Euro) als Mentalitätsmonster und „Rocky Balboa“ einen Namen gemacht. Im GladbachLIVE-XXL-Interview spricht er über Borussias Ziele in der Spitzengruppe, seine Sehnsucht nach den Bergen und seine spezielle Verbindung zu Trainer Marco Rose (43).
Stefan Lainer, der Auftakt in die Rückrunde verlief sehr enttäuschend. Sofort ist unter den Fans eine gewisse Nervosität zu spüren. Wie empfinden Sie die Stimmung nach dem 0:2 auf Schalke?
Ich versuche, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es macht wenig Sinn, sich von dieser Gefühlswelt beeinflussen zu lassen. Man muss die Dinge realistisch einordnen, es ist doch immer gleich: Wenn wir gewonnen haben, war mit Sicherheit nicht alles perfekt. Wenn wir verloren haben, ist nicht alles schlecht gewesen. Grundsätzlich waren wir mit dem Schalke-Spiel einfach nicht zufrieden. Wir sind nicht von Anfang an so mutig aufgetreten, wie man das von uns in dieser Saison schon gesehen hat. Uns hat ein wenig die Aggressivität gefehlt – gegen eine Mannschaft wie Schalke, die es sehr gut gemacht hat.
Haben Sie im Nachgang Erklärungen dafür gefunden? Die Mannschaft machte im Trainingslager einen guten Eindruck, die Ansagen vor dem Schalke-Spiel klangen selbstbewusst.
Dass sie sich einiges vornimmt, sagt jede Mannschaft. Niemand sagt, dass er sich nichts vornimmt (lacht). Wir hatten davor die Testspiele gegen Freiburg gewonnen. Ich weiß gar nicht, ob das immer so gut ist, wenn das so läuft. Vielleicht wäre es besser gewesen, durch eine Niederlage nochmal sensibilisiert zu werden. Aber wir hatten eben ein gutes Gefühl, nur haben wir das nicht auf den Platz bringen können. Schalke hat uns ein bisschen den Schneid abgekauft.
Der Trainer kam auf die sogenannten Basics zu sprechen: Laufleistung, Sprintwerte, Zweikampfführung. Auf Schalke ist Borussia 2,5 Kilometer weniger gelaufen als der Gegner.
Die Laufleistung ist natürlich nicht entscheidend über Sieg oder Niederlage. Aber der Trainer hat schon Recht, wenn er daran festmacht, wie wir ins Spiel gegangen sind und ob wir bereit waren, den letzten Meter zu gehen. Wenn wir das gemacht haben, sind wir meistens auch mindestens so viel gelaufen wie der Gegner in dieser Saison.
Die Übereinstimmung von Laufleistung und Erfolg ist verblüffend groß bei Borussia: Zwölfmal sind Sie mehr gelaufen als der Gegner, zehnmal wurde das Spiel gewonnen.
Unsere Spielweise verlangt, dass wir intensiv spielen. Wenn du das nicht machst, hat der Gegner Räume und du schließt die Räume zu langsam. Mit unserem hohen Anlaufen geben wir dem Gegner Möglichkeiten, die du mit aggressivem Verteidigen wieder wettmachst. Du darfst dem Gegner keinen Meter schenken.
Wie sieht es mit Ihrer Verletzung von vor Weihnachten aus? Schmerzt der Knochen manchmal noch?
Ich hatte es mir schon etwas einfacher vorgestellt und nach dem Wolfsburg-Spiel deshalb gleich wieder angefangen. Im Endeffekt war das sinnlos, weil ich es in der Vorbereitung immer noch gemerkt habe. Es war wirklich eine zähe Sache. Positiv ist, dass es sich jetzt richtig stabil anfühlt. Ich merke nur noch minimal bei einigen Bewegungen etwas. Aber für das Schalke-Spiel ist das sicherlich keine Ausrede.
Waren Sie eigentlich ein Kind, das immer sofort aufgestanden ist, wenn es mal hingefallen ist und geblutet hat? Auf dem Platz wirken Sie wie jemand, der sich durch keinen Schmerz beirren lässt.
Jeder hat ein anderes Schmerzempfinden (lacht). Wenn es wirklich nicht geht, sehe ich das schon ein. Aber in manchen Situationen will ich die Mannschaft nicht im Stich lassen, sonst habe ich ein schlechtes Gewissen. Deshalb war es vor Weihnachten auch so eine blöde Situation, weil ich mir sicher war, dass es gegen Berlin wieder gehen würde. Zum Glück haben wir so einen breiten Kader.
Spätestens nach Ihrer Sprunggelenkverletzung im Herbst, wegen der Sie nicht einmal ausgefallen sind, hatten Sie den Ruf als „Kampfschwein“ weg.
Da war es ein wenig anders, weil es besser wurde, wenn der Fuß warm und ein Tapeverband drum war. Aber bei dem Knochenriss habe ich dauernd ein grausiges Ziehen gespürt, das war echt Mist. Ich will halt da sein für die Mannschaft und Gas geben. Gerade jetzt, nachdem wir verloren haben, würde ich am liebsten spielen.
Nun sind Sie gegen Mainz am Samstag aber gelbgesperrt. Muss man Sie da auf der Tribüne festbinden?
Gegen Paderborn habe ich schon erlebt, wie es ist. Vor vollem Haus zuschauen zu müssen, ist nicht schön. Aber es ging zum Glück gut aus. Ich bin zuversichtlich für Samstag, auch wenn wir den einen oder anderen Ausfall haben. Nur diesmal könnte ich es eh nicht erzwingen.
Sie haben gesagt, dass sich alle viel vornehmen. Von hinten machen einige Mannschaften Druck, die Bayern haben Gladbach überholt. Wo geht die Reise hin in den nächsten Wochen?
Es ist erst ein Spiel rum, natürlich ist es so eng, dass das schon gewisse Ansichten in der Tabelle verändert. Aber es ist alles sehr eng zusammen. Jetzt müssen wir versuchen, das Heimspiel gegen Mainz zu gewinnen. Das wird auch nicht leicht, so wie jedes Spiel nicht leicht wird. Dann kommt Leipzig…
… dann kommen Köln und Düsseldorf…
… auch schwierige Derbys. Im Herbst ist es aber nicht anders gewesen: Wenn wir dreimal gewonnen haben, hatten die anderen auch dreimal gewonnen und wir mussten das vierte Spiel eigentlich auch noch gewinnen. Deshalb dürfen wir jetzt nicht den Teufel an die Wand malen und Angst haben vor einer schlechten Rückrunde.
Das Thema schwebt aufgrund der Erfahrung der vergangenen beiden Jahre über dem Borussia-Park. Sie können wie der Trainer relativ unbeschwert an die Sache herangehen.
Wir dürfen uns nicht davon anstecken lassen, sondern müssen im Blick haben, was wir in der Rückrunde alles gewinnen können. Vielleicht muss man die Sichtweise ein wenig verändern, denn wir haben eine gute Ausgangssituation und viele Spiele, in denen wir die Dinge in die richtige Richtung lenken können. Deshalb dürfen wir uns nicht so viel Druck auferlegen an den ersten drei Spieltagen. Wir können viel erreichen und dürfen nicht mit Angst in die Spiele gehen.
Sie kommen vom FC Bayern Österreichs. Ist das eine Haltung, die Sie dort gelernt haben? Sie strahlen diese Sieger-Mentalität aus. Oder ist der Druck hier größer als bei RB?
Ich würde schon sagen, dass der Druck hier größer ist, allein wegen der medialen Präsenz. Dafür müssen wir nicht Erster sein, wir können in unserer Situation viel gewinnen, weil wir überraschen können und das bislang auch getan haben. Nur interessiert das jetzt keinen mehr. In Salzburg ist es schon so, dass mit den Fans und den Medien die Arbeit ruhiger ist. Aber es wird nicht nur verlangt, dass du jedes Spiel gewinnst, du musst es auch dominieren und gut spielen. Sonst wird in Salzburg schon eine Krise gesucht. Hier haben sich die Erwartungen aber auch ein wenig geändert. Jeder hofft, dass wir bis zum Ende ganz oben mitspielen können. Und wir versuchen den Leuten natürlich zu geben, was sie wollen.
Die Champions League ist in Gladbach ein großes Ding, Sie selbst haben noch nie Königsklasse gespielt. Wie sehr lechzen Sie selbst danach?
Die Lust ist riesig. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir einen Champions-League-Platz erreichen. Mit der Mannschaft sehe ich die Möglichkeit, das zu schaffen. Trotzdem gibt es in Deutschland halt sechs bis acht Vereine, die diese Ambitionen haben. Das macht es so spannend und interessant. Wahrscheinlich werden sich die durchsetzen, die am besten mit dem Druck umgehen und am klarsten im Kopf bleiben. Du musst in einer schlechten Phase den Wirbel um dich herum ausblenden.
Was stimmt Sie positiv, dass Borussia das gelingen wird?
Für uns spricht, dass wir keine Spieler in der Mannschaft haben, die die Schuld bei anderen suchen und ungute Stimmung verbreiten, wenn es mal nicht läuft. Das ist in einer negativen Phase meistens die Gefahr. Nichtsdestotrotz ist jeder für sich selbst verantwortlich und muss sich selbst in die Verfassung bringen, in jeder Phase 90 Minuten lang mit Selbstvertrauen alles aus sich herauszuholen. Dann bin ich guter Dinge.
Ist die Bundesliga in Ihren Augen eine geile Liga? Die Stadien sind immer voll, die Leute können ihr Bier trinken, müssen nicht 180 Euro für eine Karte bezahlen.
Wie es in den anderen Ligen außer Österreich ist, kann ich nicht sagen. Aber es macht richtig Bock in Deutschland, die Liga ist schon geil mit den vollen Stadien. Es geht rund, ist spannend, alles ist möglich nach hinten und vorne. Kein Platz ist gesichert, da gab es schon andere Zeiten. Ich wüsste nicht, ob ich irgendwo anders lieber spielen würde. Ich habe alles richtig gemacht.
Wie sehr fehlen Ihnen die Berge?
Im Herbst noch nicht so. Aber im Winter, wenn ich Urlaubsfotos im Internet sehe, merke ich schon, dass die schneebedeckten Berge etwas haben.
Wie machen Sie es sich es sich am Niederrhein heimisch? Da ist, was Berge angeht, nun wirklich nichts zu machen.
Es sind ja nicht nur die Berge, die Leute um einen herum sind entscheidend. Die wichtigsten habe ich an meiner Seite. Deshalb fühle ich mich schon heimisch. Das ist jetzt ein Stück weit mein neues Zuhause. Ich habe neue Freunde und Bekanntschaften gefunden, fühle mich sehr wohl. Hier bieten die Städte auch einiges, in kürzester Zeit ist viel erreichbar. Das sind dann sogar Aspekte, die besser sind als in Österreich.
Ihr Hund Toni ist auch mit dabei. Gehen Sie die Hunderunde lieber morgens oder abends?
Ich gehe schon ganz gerne morgens, weil du anders in den Tag startest, wenn du schon an der frischen Luft warst. Du hast schon Energie und fällst nicht vom Bett auf den Trainingsplatz. Deshalb tut so eine Gassirunde morgens schon gut.
Und wenn es abends mal regnet, diskutieren Sie dann noch mit Ihrer Frau?
Dann gehen wir gemeinsam. Oder sie macht den Geschirrspüler und ich gehe mit Toni Gassi, das ist mir am liebsten (lacht).
Bei vielen Ihrer Kollegen müssten wir diese Fragen gar nicht stellen, weil wir es vielleicht von Instagram wüssten. Aber Sie dürften einer der Profis sein, die online am wenigsten von sich preisgeben. Warum ist Ihnen das überhaupt kein Bedürfnis?
Grundsätzlich entscheidet das jeder selbst, es kann ja auch einen positiven Nutzen haben. Trotzdem versuche ich, ein bisschen mehr bei mir zu bleiben und die Außenwelt etwas abzuschirmen. Ich glaube nicht, dass das auf Dauer so gut ist, wenn du so viel Input bekommst, immer erreichbar bist. Jeder kann dir dauernd seine Meinung mitteilen. Sich so zu öffnen, kann schon anstrengend sein. Deshalb mache ich im Urlaub einfach Urlaub. Ist doch auch positiv, dass Sie nicht wissen, wo ich war (lacht). Was Jadon Sancho (postete ein opulentes Video aus Dubai, Anm. d. Red.) gemacht hat, weiß jeder. Er will es wahrscheinlich so, aber ich bin da anders. Genauso müssen wir uns auch sportlich verhalten und das abschirmen, wenn mal der eine oder andere Sturm kommt.
Ganz offen gefragt: Kann Borussia aus Ihrer Sicht noch Deutscher Meister werden?
Zumindest rechnerisch ist es möglich. Von daher erübrigt sich die Frage.
Hat das im Herbst etwas mit der Mannschaft gemacht, dauernd mit dem M-Wort konfrontiert zu werden?
Es war ja etwas Positives, damit in Verbindung gebracht zu werden und mehr oder weniger Konkurrent Nummer eins des großen FC Bayern zu sein. Die Erwartungshaltung hat sich verändert, damit müssen wir umgehen. Aber wir haben positiv überrascht und eine sehr gute Hinrunde hingelegt. Jetzt stehen wir da mit 35 Punkten und haben noch einige Runden, um draufzupacken. Das ist entscheidend, nicht die Tabellenkonstellation von Woche zu Woche.
Wie ist Marco Rose nach einem enttäuschenden Spiel wie auf Schalke drauf?
Der Trainer lässt sich nicht beirren von außen, sondern zieht sein Ding durch. Er sieht mehr hinter dem Spiel als nur das Ergebnis. Wenn du verloren hast, hast du keinen Bock, noch einmal zu verlieren. Er hat den Anspruch, immer zu gewinnen, und den Anspruch an dich, alles dafür zu geben. Wenn du das nicht tust, lässt er dich das spüren. Von daher: Kopf aus dem Sand ziehen und volle Kraft voraus – eine andere Marschroute gibt es bei ihm nicht.
Sind Sie für Marco Rose ein besonderer Spieler, weil Sie ihn so lange kennen? Sie sind im Sommer gekommen und haben dieses Stressen des Gegners sofort umgesetzt. Wenn wir uns an das 3:0 gegen Hoffenheim erinnern: Da haben Sie von hinten rechts den Spielmacher gegeben.
Schwierig zu sagen. Ich bin kein Spieler, der gern verwaltet und hinten drin steht. Ich will aktiv spielen, am liebsten immer den Ball haben und etwas initiieren. Es soll etwas passieren. Ich bin schon ein Fan davon, wie der Trainer spielen lassen möchte. Deshalb funktioniert das gut. Aber die ganze Mannschaft muss sich wohlfühlen, alle müssen an einem Strang ziehen. Das haben wir bis jetzt sehr gut hinbekommen und uns weiterentwickelt – auch wenn das erste Spiel nicht gut war. Seit dem Sommer ist die Mannschaft auf ein ganz anderes Level gekommen. Das sieht man tagtäglich im Training. Aber die anderen haben sich natürlich auch weiterentwickelt. Deshalb ist es so eine interessante Runde in der Bundesliga.