Der große Vergleich Thuram stellt Hazards Gladbach-Werte in den Schatten
Mönchengladbach - Als er kam, war er „der Nachfolger“. Doch Marcus Thuram (22) hat das Etikett, das auch eine Belastung werden kann, schnell abgelegt. So schnell wie kaum ein Borusse vor ihm, der geholt wurde, um ein für gutes Geld verkauftes Ex-Fohlen zu ersetzen.
Thorgan Hazard (27) hatte im ersten Schritt 25,5 Millionen Euro gebracht mit seinem Wechsel zu Borussia Dortmund, die Summe kann noch anwachsen. Neun Millionen bezahlte Gladbach für Thuram. Selten hat sich eine Investition so fix rentiert – die Fans haben ihn nun hochverdient zum „Spieler der Saison“ gewählt.
Thuram und Hazard lieben beide die Geschwindigkeit
Hohe Transfereinnahmen gingen in den vergangenen Jahren häufig mit einer Typveränderung auf der frei gewordenen Position einher. Nach Marco Reus (31) versuchte es Borussia vorne mit Luuk de Jong (29). Auf Dante (36) folgte Álvaro Dominguez (31), ein seltener Eins-zu-eins-Wechsel. Als Granit Xhaka (27) ging, kehrte Christoph Kramer (29) aus Leverkusen zurück. Aus dem ehemaligen Nebenmann wurde der Nachfolger.
Bei Thuram wäre es allein aufgrund der Schuhgröße schwierig geworden, seine mit Hazards Fußstapfen zu vergleichen. Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass beide eine Liebe für Geschwindigkeit und Dribblings verbindet. Zudem sind sie variabel auf außen und im Zentrum einsetzbar.
Die direkte Verbindung zwischen dem Franzosen und dem Belgier war trotz aller körperlichen Unterschiede also nicht an den Haaren herbeigezogen. Dass er schon nach wenigen Wochen kaum noch als „Nachfolger“ tituliert wurde, hing vor allem mit Thurams Leistungen zusammen.
Korell und sein Scouting-Team haben Thuram lange beobachtet
Mit zehn Toren und acht Assists beendete er seine Debüt-Saison in der Bundesliga. Hazard hatte Gladbach mit zehn Toren (drei davon Elfmeter) und elf Vorlagen verlassen. Beim BVB sind sie zufrieden mit dem Transfer: In der Liga schoss Hazard sieben Tore und legte sogar 13 auf (bei nur 7,6 Expected Assists). Typisch für eine Mannschaft von Lucien Favre (62): Hazards Abnehmer haben mehr aus den Möglichkeiten gemacht, als im Durchschnitt zu erwarten wäre.
Der große Unterschied zwischen Gladbachs altem und neuen Zehner: Der eine hat die Tiefe gesucht, der andere wurde oft in der Tiefe gefunden. Sechs Tore erzielte Thuram allein aus dem Fünfmeterraum, Liga-Bestwert.
Das Scouting-Team um Steffen Korell (48) wusste genau, welcher Spieler es für den neuen Stil unter Marco Rose (43) sein sollte. „Wir hatten bestimmt 30 Live-Berichte“, sagte Korell in einer Vereinsdoku über Thuram. Erstmals sei er 2015 bei der U19-EM beobachtet worden, da war Hazard gerade ein Jahr in Gladbach: „Es ist unsere Philosophie, richtig einschätzen zu können, ob jemand ein Spieler für Borussia Mönchengladbach ist und auch für unseren neuen Trainer.“
Thuram im Fünfmeterraum eiskalt
Erhellend ist der Blick auf die „Shot Maps“ der beiden. Je größer die Punkte, desto größer die Trefferwahrscheinlichkeit. Grün sind Tore, blau gehaltene Bälle, gelb Schüsse an Pfosten oder Latte, lilafarbene wurden abgeblockt und rote gingen am Tor vorbei. Oben ist Thuram in der abgelaufenen Saison zu sehen, unten Hazard in seinem letzten Gladbach-Jahr:
Die vielen dicken Kleckse lassen erahnen, dass Thuram vergangene Saison auf starke 0,45 Expected Goals (xG) pro 90 Minuten kam, Hazard erreichte beim BVB 0,21. Hier zeigt sich wieder einmal, warum Expected Goals so viel mehr Aussagekraft haben können als die reine Zahl an Torschüssen. Denn da gab zwischen beiden keinen Unterschied.
Doch im Schnitt hat jeder Schuss, den Thuram abgibt, eine fast doppelt so hohe Trefferwahrscheinlichkeit wie bei Hazard (0,18 xG im Vergleich zu 0,1 in dieser Saison). Bei den Expected Assists (xA) kamen beide 2019/20 auf den gleichen Wert (Quelle: FBref.com).
Marcus Thuram gleichauf mit Jadon Sancho
Über die Qualität eines Spielers, der nicht nur als Vollstrecker gefragt ist, sagt die Summe aus xG und xA pro Spiel einiges aus: Mit bärenstarken 0,73 liegt Thuram gleichauf mit Jadon Sancho (20) auf Platz neun der Liga, Hazard mit 0,5 auf Platz 17. Vier Thuram-Dribblings führten zu Toren, bei Hazard waren es in Dortmund zwei, zuvor in Gladbach 2018/19 keines.
Ihr Marktwert bei „transfermarkt.de“ ist inzwischen mit 32 Millionen Euro identisch. Allein aufgrund seines Alters wird Thuram es leichter haben, die Raketen-Entwicklung fortzusetzen. Hazards Zahlen sind stark, stagnieren aber seit drei Jahren auf einem hohen Niveau. Mit einer Leistungsexplosion ist eher nicht mehr zu rechnen.
Thuram geht mit Kniefall um die Welt
Einen berühmten Nachnamen tragen sie beide, doch Thuram schafft es mit seiner extrovertierten Art, mehr und mehr zu einem Gesicht der Fohlen zu werden. Hazards Standing bei den Fans wiederum schwankte stark. Als er 2017/18 erstmals zweistellig traf, wählten sie Michael Cuisance (20) zum „Spieler der Saison“, 2018/19 dann Yann Sommer (31).
Thuram strahlt dagegen jede Menge Superstar-Potenzial aus. Sein Kniefall aus Solidarität zur „Black lives matter“-Bewegung ging um die Welt, sein Eckfahnen-Jubel produzierte nicht das Einzelbild, sondern die Bilderstrecke der Saison.
Der 1,92-Meter-Mann, geholt von Absteiger EA Guingamp aus Frankreich, war für Borussia in jeder Hinsicht ein Glücksgriff. Nun muss er erst einmal gesund werden: Nach einer Operation Ende Juni verbringt Thuram den Sommerurlaub mit Gipsfuß.