Pokalsieger-Jubiläums-Interview Gladbach-Held: Was unsere Fans abgezogen haben, war sensationell!
Mönchengladbach - Am Samstag blickt unsere Nation nach Berlin. Im dortigen Olympiastadion findet das erste Geisterspiel-Finale (20 Uhr/live bei ARD und Sky) in der Geschichte des deutschen Fußballs um den DFB-Pokal statt. Bayer Leverkusen fordert in Zeiten der Coronavirus-Pandemie den Rekordmeister und Rekordpokalsieger FC Bayern heraus. Es ist zugleich ein Endspiel, das Gladbach-Fans an das Titel-Jubiläum vor 25 Jahren erinnern dürfte. 1995 holten die Fohlen in der Bundeshauptstadt die bis dato letzte große Trophäe an den Niederrhein. Thomas Kastenmaier war seinerzeit einer der Borussia-Helden des Finales gegen den VfL Wolfsburg. Der inzwischen 54-Jährige ist zudem ein echter Bayer, hatte zuvor mit den Münchnern die Meisterschale gewonnen, ehe er im Fohlen-Stall zum Kult-Typen aufstieg. GladbachLIVE traf den ehemaligen Verteidiger zum exklusiven Pokal-Finale-Jubiläums-Interview.
Herr Kastenmaier, am Samstag findet in Berlin das erste Geister-Pokalfinale in der Geschichte des deutschen Fußballs statt. Der FC Bayern trifft auf Bayer Leverkusen. Sie sind gebürtiger Münchner, holten mit den „Roten“ 1990 die Meisterschale, 1995 dann mit Gladbach in der Bundeshauptstadt den Pokal. Heißt, Sie erleben nach 25 Jahren Ihr persönliches Pokal-Sieger-Jubiläum. Welche Emotionen weckt das in Ihnen?
Also zunächst einmal: Es ist traurig, was da, wie zuvor in der Liga, in Zeiten der Coronakrise stattfindet. Ohne Fans, das tut jedem Fußballer mit Herzblut extrem weh. Ich kann es mir nicht vorstellen, im Berliner Olympiastadion vor nur rund 700 Menschen am Samstag, wie ich nun gelesen habe, ein Pokal-Finale zu spielen. Das ist extrem bitter. Wenn ich daran denke, was wir mit Gladbach 1992 erlebt haben, als wir gegen Hannover im Elfmeterschießen gescheitert sind. Um dann aber 1995, als wir es als Borussia Mönchengladbach dann endlich geschafft hatten, eine solche Fan-Wucht erleben zu dürfen. Das ist heute noch kaum in Worte zu fassen. Was da seinerzeit für eine atemberaubende Stimmung gewesen ist. Das ist wohl kaum noch vorstellbar, was 1995 an Gladbacher Fans in Berlin unterwegs gewesen ist. Das war eine Sensation, was unser Anhang da damals abgezogen hat.
Kaste drückt Bayern die Daumen
Sie sind in München geboren, haben es beim FC Bayern bis zum Profi geschafft – wem drücken Sie nun in Berlin die Daumen?
Ich sage es, man mag es mir in Leverkusen nachsehen, ganz offen: Zu Bayer habe ich letztendlich gar keine Beziehung. Zum FC Bayern umso mehr. Also ist doch ganz klar, wo mein Daumen am Samstag hingeht.
Heißt: Alte Liebe rostet nicht? Mia san mia?
(Lacht) Selbstverständlich. Mia san mia – stärker als ein Stier. Zum Pokalfinale bin ich für den FC Bayern München.
Wenn Bayern und Leverkusen in Berlin die Klingen in Sachen Pokalsieger 2020 kreuzen, ist es zugleich 25 Jahre her, dass Sie mit Borussia Mönchengladbach den DFB-Pokal gewinnen konnten. Seither wartet der VfL sehnlichst auf einen Erfolg für die Klub-Vitrine. Was bedeutet Ihnen der Pokalsieg von 1995 bis dato noch?
Wenn ich daran denke, ist es immer noch ein geiles Gefühl. Wir haben ja am 24. Juni 1995 den Pokal geholt. Ich habe das zum Jubiläum zum Anlass genommen, um auf meinen Social-Media-Kanälen alle Jungs von damals zu grüßen. Leider haben wir jüngst nicht alle zusammen im Gladbacher Stadion sein können. Wegen der Pandemie hat der Verein nichts machen können. Dieser Pokalsieg ist sehr speziell für uns gewesen.
Können Sie uns genauer verraten, warum das so „speziell“ gewesen ist?
Nun, wir sind größtenteils die Borussen gewesen, die 1992 das Pokalfinale gegen Zweitligist Hannover 96 im Elfmeterschießen verloren hatten. Und dafür haben wir damals richtig eins auf die Fresse bekommen – auch von der Presse. Umso größer ist die Erleichterung gewesen, dass wir drei Jahre später erneut ins Pokalfinale einziehen konnten. Und es dann gegen Zweitligist Wolfsburg ganz souverän nach Hause gebracht haben. Für uns Spieler, die 1992 versagt hatten, war das eine riesige Erleichterung.
Ist das der größte Erfolg in Ihrer Karriere gewesen?
Ja!
Obwohl Sie mit dem FC Bayern zuvor die Meisterschale gewonnen hatten?
Ja! Ich darf mich zwar deutscher Meister nennen, ich war beim FC Bayern München, worauf ich sehr, sehr stolz bin. Aber richtiger Stammspieler war ich in Gladbach. Dort haben die Fans mich zur Legende gemacht, haben mich unterstützt und mein Spiel zu schätzen gewusst. Also, da muss ich nicht lange überlegen. Die Zeit bei Gladbach, mit dem Pokalsieg, ist für mich als Spieler damals überragend gewesen.
Was ist eigentlich 1995 anstrengender gewesen: Der Final-Fight gegen einen richtig starken VfL Wolfsburg – oder der Party-Marathon anschließend? Die Stadt Mönchengladbach und die Fohlen-Fans erlebten einen Ausnahmezustand.
(Lacht) Ich will es mal so ausdrücken: Die Party im Anschluss ist dahingehend anstrengender gewesen, da sich die Feierlichkeiten über Tage hinweg gezogen hatten. So ein Fußballspiel ist hingegen – in diesem Fall zumindest – nach 90 Minuten zu Ende. Spaß bei Seite: Wir hatten zum Zeitpunkt des Finales 1995 eine super Mannschaft beisammen, zudem eine richtig starke Bank. Da konntest du ja froh sein, überhaupt im Kader zu sein. Da haben einige nicht dabei sein können, die sonst immer gespielt haben. Wir haben das am Ende auch relativ souverän eingefahren.
Gibt es noch Kontakt unter Borussias Pokal-Helden von 1995?
Auf alle Fälle. Bis auf Spieler wie Martin Dahlin oder Patrick Andersson, die zurück ins Ausland gegangen sind, sind wir ja bis heute größtenteils alle zusammen – und zwar in der Weisweiler-Elf. Da sind über ein halbes Dutzend Pokalsieger drin. Den Effe (Stefan Effenberg, Anm. d. Red.) sehen wir auch noch ab und an. Der Großteil der Jungs trifft sich auf jeden Fall regelmäßig. Und wir sind wirklich stolz auf das, was wir erreicht haben.
Einen Titel zu holen ist nicht einfach
Weil es seither auch keinen Titel mehr für die Fohlen-Elf gegeben hat?
Das nicht, aber Sie sehen ja, wie schwer es für den Klub ist, einen Titel zu holen. Gladbach ist im Anschluss mehrere Male im Halbfinale gescheitert. Wir haben das Glück gehabt, dass wir das Ding haben einfahren können. Max Eberl macht einen Bomben-Job beim Verein, ist über 20 Jahre bei Borussia, davon zehn Jahre als Manager, hat aber noch keinen Titel gewinnen dürfen. Das kann dir alles passieren.
Zeigt das nicht auch, wie schwer es mittlerweile für Vereine wie Gladbach in Deutschland ist, angesichts der erdrückenden Vormachtstellung des FC Bayern und Dortmund, überhaupt einen Titel mal einzufahren?
Ja. An diesen Vereinen musst du vorbei, wenn du was holen willst. Dafür musst du eine sehr gute Mannschaft haben. Und, das muss man ehrlich sagen, im Pokal auch mal entsprechendes Losglück haben. Mit möglichst vielen Heimspielen. Wenn sich die Chance auftut, dass Vereine wie Dortmund schwächeln, dann musst du da sein. Und, wie es Frankfurt vorgemacht hat, die Bayern letztendlich im Finale schlagen. So schaut‘s aus!
Fußball ohne Fans macht keinen Spaß
Wie nehmen Sie als Ex-Profi, der sich gerne von den Emotionen auf den Zuschauerrängen hat pushen und beflügeln lassen, wahr, wenn wegen der Coronapandemie Geisterspiele in der Bundesliga stattfinden?
Das erinnert mich an Freundschaftsspiele und Trainingslager-Kicks vor 50 Leuten irgendwo in Portugal. Da hat es auch so gehallt und du konntest jedes Wort auf dem Platz verstehen.
Was fällt Ihnen noch auf?
Dass zahlreichen Mannschaften der Heimvorteil abhandengekommen ist. Wenn das Stadion voll ist, die Fans hinter dir stehen und über 50.000 schreien, ist das was ganz anderes, als aktuell. Dann muss sich so mancher Spieler selber pushen. Auf der anderen Seite haben die Spieler, die eher wegen der Kulisse beeindruckt sind, es aktuell leichter, sich zu entfalten. Ich würde sagen: Für manche Spieler sind Geisterspiele einfacher. Für andere nicht. Unter dem Strich bleibt: Ohne Fans macht das absolut keinen Spaß!
Stimmt das Gerücht, dass Sie für ein DFB-Verbot verantwortlich sein sollen?
(Lacht) Was soll diese Frage jetzt?
Nun, Sie sollen der Hintergrund dafür sein, dass bei Bundesliga-Spielen in Nähe von Eckfahnen keine Klappstühle mehr stehen dürfen.
(Lacht) Ach herrje, Sie spielen auf die Bökelberg-Nummer im März 1994 an. Wie war das noch mal? Wir hatten Ecke, aber der Schiedsrichter ließ sich jede Menge Zeit zur Freigabe?
Sie sprechen es an.
Stimmt. Ich habe mir dann einen Klappstuhl geschnappt, der am Zaun anlehnte, mich draufgesetzt – dann kam irgendwann die Freigabe. Ich brachte die Ecke hinein, Michael Klinkert köpfte ein zum Tor. Am Ende haben wir 6:1 gewonnen – gegen Leipzig, oder?
Korrekt. Sie haben im Anschluss aber noch etwas getan.
Ach ja, ich ahne, was Sie meinen. Ich habe den Stuhl wieder zusammengeklappt und zurück an seinen Platz gestellt.
Ist so etwas aus heutiger Sicht noch denkbar?
(Lacht) Wohl eher nicht!
Titel-Held adelt Elf von Marco Rose
Kommen wir zurück zum aktuellen Geschehen rund um die Borussia. Ist das Erreichen der Champions League, wie es Max Eberl zuletzt ausgedrückt hat, mit einem Meistertitel zu vergleichen? Wie ordnen Sie das ein?
Borussia hat eine richtig gute Saison gespielt. Sie haben das ausgemerzt, was in der vergangenen Saison am letzten Spieltag schiefgegangen ist, als sie noch einmal von Leverkusen abgefangen worden sind. Die Champions-League-Teilnahme ist zwar kein offizieller Titel, aber es ist – gerade in diesen Zeiten – ein absolutes Zuckerlchen. Es ist bekannt, was es in der Champions League für Gelder gibt. Das ist etwas anderes, als wenn du durch die Europa League krebsen musst.
Was sagen Sie denen, die rund um Borussia von noch höheren Zielen träumen? Der neue Hauptsponsor hat sogar bereits das Thema Meisterschaft ins Spiel gebracht.
Reden wir mal Klartext: Wenn du einen Titel holen willst, musst du die Mannschaft zusammenhalten. Das ist seit Jahren für Gladbach nahezu nicht möglich gewesen. Die besten Spieler sind immer herausgekauft worden. Dafür gibt es dann auch einen Haufen Geld, damit der Verein überleben kann. Sollte es dem Verein nun aber gelingen, dass er seine besten Spieler halten kann, für zwei, drei Jahre, weil er es auch versteht, es für die Spieler entsprechend attraktiv zu gestalten, dann sage ich: Wenn die nötige Konzentration samt Einstellung da sind, dann kannst du auch mal um einen Titel mitspielen. Und da stellt der DFB-Pokal, mit dem nötigen Losglück, die größte Chance dar.
Sind leben als Ur-Bayer weiterhin am Niederrhein. Sind Sie eigentlich noch regelmäßig bei den Fohlen-Spielen im Borussia-Park?
Ja, wenn ich nicht mit meiner Fußballschule unterwegs bin, bin ich regelmäßig bei allen Heimspielen der Borussia. Fußball ist mein Leben. Ich schaue einfach gerne Borussia. Ich treffe da meine ganzen Freunde, zahlreiche Sponsoren und sehr viele Menschen, die mir seit Jahren ans Herz gewachsen sind. Das lasse ich mir nicht nehmen.
Halten Sie es für real, dass durch die Coronakrise sich Dinge im Profi-Fußball ändern werden? Dieses Höher-Weiter-Teurer-Schneller ist zahlreichen Fans inzwischen ja merklich aufgestoßen. Oder bleibt das Business unverändert?
Ich hoffe, dass einige aus der Branche mal ins Grübeln kommen. Und dass es dann zumindest einen kleinen Rückschritt geben wird. Wenn man sieht, was nun allein auf Schalke passiert ist – das kann doch so nicht mehr weitergehen. Immer höher und teurer. Es sollten alle wieder zurück auf den Teppich kommen. Einige Protagonisten sollten die Kirche im Dorf lassen. Damit das im Vordergrund steht, was wirklich wichtig ist. Das ist aber nur meine Meinung.
Ein Weißbier auf den Pokalsieger
Abschließend: Was macht Gladbachs Pokal-Held von 1995, wenn seine Bayern nun in Berlin Leverkusen in die Knie zwingen und den Titel einfahren sollten?
Ich mache mir ein Weißbier auf und sage Glückwunsch!
Und wenn nicht?
(Lacht) Dann wohl auch.