„Raumfüller“ Raffael Der „Maestro“ plant nach Gladbach-Abschied seine Zukunft
Mönchengladbach - Drei Minuten und 54 Sekunden dauert der Zusammenschnitt, der alle 71 Pflichtspieltore von Raffael für Borussia Mönchengladbach zeigt. Wenige Minuten, die seit seinem ersten Treffer im August 2013 eine siebenjährige Ära zusammenfassen, unterlegt mit Borussias Vereinshymne „Die Seele brennt“. In Gladbach hat am vergangenen Wochenende ein ganz Großer die Fohlen-Bühne verlassen.
Umgeben von rasanten Achterbahnen und wilden Wasserrutschen schaltet „Raffa“ derzeit mit seiner sechsköpfigen Familie ab. Im Europapark in Rust hat er Zeit, die Tage rund um seinen 201. und letzten Einsatz für die Fohlenelf am vergangenen Wochenende Revue passieren zu lassen. Bald will der 35-Jährige dann eine Entscheidung verkünden, wie es bei ihm weitergeht.
Hinter Raffael liegen emotionale Tage
„Es waren so viele Emotionen in den letzten Tagen, jetzt geht es langsam wieder“, sagt Raffael im Gespräch mit GladbachLIVE. Unzählige Nachrichten habe er bekommen. „Es war schade, dass mein letztes Spiel ohne die Fans stattfinden musste. Aber wenigstens konnten wir danach noch als Mannschaft feiern und waren glücklich. Wir haben die Champions League erreicht“, so Raffael.
Die Champions League. Die Königsklasse, in der der Brasilianer in der Gruppenphase einst ganz groß gegen den FC Barcelona aufspielte. Mit Weltstars wie Gerard Piqué (33), Ivan Rakitić (32) oder Andrés Iniesta (36) nahm er es nicht nur einzeln auf, sondern mitunter gleichzeitig. Es sah aus, als könne er die Gegner mit Superkräften einfrieren und so selbst der größten Bedrängnis entkommen.
Nach der knappen Niederlage tauschte er das Trikot mit Landsmann Neymar (28), und es war auf den ersten Blick schwer, zu ermitteln, wer hier wem Respekt zollte. Der einzige Wermutstropfen: Raffael musste kurz nach der Pause ausgewechselt werden. Bis zu seiner Verletzung lag Borussia in Führung, verlor ohne den „Maestro“ noch 1:2.
Zu einem Weltstar wurde Raffael in Gladbach nicht, doch in seinen besten Zeiten kratzte er mit seinem unverwechselbaren Spiel am Prädikat „Weltklasse“, galt als Musterschüler und Schlüsselspieler der Ära von Ex-Trainer Lucien Favre (62).
Raffael: Ein Zauberer seiner Zeit
Unzählige Male löste er scheinbar aussichtslose Spielsituationen auf engstem Raum intuitiv. Mit seiner feinen Technik streichelte er den Ball so fein wie kaum ein Zweiter. Selbst für defensive Drecksarbeit und eine überlegte Grätsche an der Mittellinie war er sich nie zu schade – ein echter Teamplayer eben. In der Borussen-Kabine war er allerdings kein Lautsprecher.
Im Gegenteil: Oft wirkte er eher zurückhaltend, manchmal gar schüchtern, aber stets höflich und respektvoll. Die großen Taten ließ er seit jeher lieber auf dem Rasen sprechen – und erarbeitete sich so seit seinem Wechsel 2013 von Dynamo Kiew den größtmöglichen Respekt bei seinen Mitspielern.
Gladbachs Mittelfeldspieler Christoph Kramer (29) richtete deshalb zum Abschied sehr persönliche Worte an ihn: „Ich habe es wirklich geliebt, mit dir zusammen auf dem Platz zu stehen. Ich habe es geliebt, wie du einen noch so kleinen Zwischenraum auf dem Platz mit Leben gefüllt hast“, schrieb Kramer auf seinem Instagram-Kanal.
„Mein Fußballherz sagt Danke. Ein sicherlich ganz Großer und vielleicht der Größte verlässt die Borussia-Bühne. Es war mir eine Ehre“, so Kramer weiter.
Rekordtorschützen in Gladbach: Raffael liegt auf Platz elf
Mit den 71 Toren, die seine Fans in einem von ihm selbst veröffentlichen Abschiedsvideo bestaunen können, hat sich Raffael auf Platz elf der Gladbacher Rekordtorschützen-Liste vorgearbeitet. Ein weiterer Treffer hätte am 34. Spieltag nach seiner Einwechslung gegen Hertha BSC hinzukommen können. Vermutlich hätte dieses Tor einen Platzsturm bei den Borussen ausgelöst, wie Chefcoach Marco Rose (43) nach dem Spiel schmunzelnd erklärte. Freistehend vor dem Hertha-Tor vergab Raffael die Großchance jedoch.
„Ich habe nicht gedacht, dass der Ball von László Bénes zu mir kommt. Das war total schade. Ich hätte noch ein Tor machen können. Und dann war das Spiel vorbei“, sagt Raffael, der sich an zahlreiche seiner Treffer zurückerinnert. „Sicherlich denke ich sofort an die beiden Tore gegen Bayern vor fünf Jahren. Und mein Fernschuss-Tor in Berlin. Diese drei Treffer waren für mich etwas ganz Besonderes.“
Besonders war auch die Beziehung zwischen Raffael und den Gladbach-Anhängern, die immer wussten, was sie vom Offensivkünstler mit der Nummer 11 erwarten konnten. Von schwereren Verletzungen blieb Raffael, abgesehen von einem Schlüsselbeinbruch Ende 2018, in seiner Profi-Karriere verschont. Was ihn in den vergangenen Jahren immer wieder zum Verhängnis wurde, waren muskuläre Probleme.
Vor allem seine zwickende Wade bremste ihn immer wieder aus. Unter anderem deshalb kam Raffael in den vergangenen beiden Jahren nur auf insgesamt 25 Spiele. Meist waren es Kurzeinsätze. Sein letztes Tor erzielte er übrigens am 13. April 2019 beim 1:0-Auswärtssieg in Hannover.
Annahme mit Brust und Oberschenkel, vorbei am ersten Gegenspieler, der Ball springt zweimal auf und Raffael hebt ihn – auch mit Hilfe des zweiten Gegenspielers – über den Torwart in den Kasten. Ein typischer „Raffa“, der solche Situationen elegant zu erzwingen wusste.
Raffael will seine Karriere fortsetzen
Nun ist Raffa ein letztes Mal für die Fohlen aufgelaufen. Er selbst möchte seine Karriere noch nicht beenden. Wohin die Reise geht? Das ist derzeit noch nicht klar. „Es gibt schon ein paar Kontakte, aber ich werde mir mit meiner Entscheidung noch etwas Zeit lassen. Und dann entscheide ich mit meiner Familie, was am besten ist“, sagt Raffael.
Im Oktober will er im Rhein-Kreis Neuss gemeinsam mit seiner Familie ein neues Haus beziehen, das nur wenige Autobahn-Minuten vom Borussia-Park entfernt liegt. Raffaels Ziel: Den Fohlen zumindest räumlich so nah wie möglich erhalten bleiben. In den Herzen der Fans dürfte er so oder so für immer einen festen Platz haben.