Gladbach-Terrier im Interview Lainer: Von Borussia kann sich der eine oder andere etwas abschauen
Mönchengladbach - Wegen der Coronavirus-Krise sind die Gladbach-Profis im „Homeoffice“-Training. GladbachLIVE hat mit Borussias österreichischem National-Verteidiger Stefan Lainer (27, genannt Ösi-Terrier) im exklusiven Telefon-Interview über den aktuellen Ausnahmezustand in der Fußball-Bundesliga gesprochen, das Fitnessprogramm in den eigenen vier Wänden beleuchtet, dazu etwas über einen zerplatzten Sommer-Traum erfahren.
Das Geister-Derby gegen Köln liegt etwas mehr als zwei Wochen zurück. Als Sie damals vom Platz gegangen sind: Hatten Sie irgendeine Ahnung, dass es das letzte Mal für lange Zeit sein könnte?
Im Gegenteil. Wir steckten durch das Nachholspiel gegen Köln mitten in einer englischen Woche. Dadurch haben wir nach dem Spiel so regeneriert, dass wir vier Tage später in Frankfurt das dritte Spiel in einer Woche hätten spielen können.
Zunächst noch im Frankfurt-Modus
Können Sie sich an den Moment erinnern, als Ihnen so richtig klar wurde: Hier passiert etwas, das noch niemand von uns erlebt hat?
In anderen Ländern, zum Beispiel in Österreich, hatten die Ligen schon pausiert. Trotzdem war ich voll im Modus: ,Okay, wir fahren nach Frankfurt und werden da vermutlich ein weiteres Spiel unter Ausschluss von Zuschauern haben.' Dann kamen die ersten Absagen in Deutschland, die ersten positiven Fälle im Profifußball. Da dachte ich mir schon: Jetzt wird es wahrscheinlich eng.
Sie haben Ihre österreichische Heimat angesprochen, wo die Lage etwas schneller eskalierte. Tausende Deutsche haben sich das Virus dort im Skiurlaub eingefangen. Hatten Sie durch Freunde oder Verwandte deshalb schon früher etwas mitbekommen?
Wo ich herkomme, in der Nähe von Salzburg, ist es noch recht entspannt. Es sind in ganz Österreich gleich großflächige Maßnahmen verhängt worden, obwohl nur einzelne Regionen schlimm betroffen waren, wie Tirol. Aber ich habe nicht mehr oder weniger mitbekommen als alle in Deutschland. Nordrhein-Westfalen mit dem Kreis Heinsberg direkt um die Ecke war ja ein Gebiet, in dem es früh losging. Es hat sich ziemlich schnell entwickelt alles.
Haben Sie auch den Eindruck, dass die Zeit momentan besonders rast, obwohl bei den meisten Menschen so wenig passiert?
Ich musste gerade kurz überlegen, als Sie sagten, dass das Derby erst zwei Wochen her ist. Das kommt mir relativ wenig vor. Es gab schon so viele Phasen seitdem: Erst haben wir ein bisschen trainiert, dann durften wir gar nicht mehr, jetzt müssen wir ein Heim-Programm machen. Also wie vier Wochen fühlt es sich ganz sicher an.
Heim-Training kein Fußball-Ersatz
Wie kommen Sie mit dem Training zu Hause klar?
Ich hoffe, dass es sich schnell wieder ändern kann und wir mit gewissen Vorsichtsmaßnahmen wieder trainieren können. Für viele andere Berufstätige ist es leicht, die Arbeit von zu Hause zu machen. Aber der Fußballsport ist einfach zu komplex. Du kannst noch so oft laufen gehen oder Rad fahren, du wirst nie eine ähnliche Belastung wie im Training oder Spiel simulieren können.
Fühlen sich die Läufe alleine aktuell besonders nervig an?
Wenn es bald mit Gewissheit wieder losgehen würde, würde es nicht nerven. So ist aktuell jede Woche eine, die du später wieder aufholen musst, weil der Rhythmus verloren geht. Es ist zwar für alle gleich, deshalb muss niemand jammern. Aber natürlich wird es – wenn es wieder losgeht – für alle schwierig, wieder auf den Punkt da zu sein. Wahrscheinlich dann noch in englischen Wochen, in denen du alle drei, vier Tage gefordert bist.
Wie halten Sie innerhalb der Mannschaft Kontakt?
Dem einen oder anderen laufe ich zufällig beim Spazierengehen über den Weg, oder man schreibt sich. Es ist ganz interessant, zu hören, wie die Kollegen die Lage einschätzen, was bei ihnen so los ist. Im Endeffekt müssen wir alle die Zeit totschlagen, weil wir uns auch nicht treffen können, um zum Beispiel etwas essen zu gehen. Der Kontakt findet fast ausschließlich über das Telefon statt.
Entspannen beim Gassi gehen
Wie verbringen Sie die Extrazeit, die Sie haben? Gehen Sie irgendeinem Hobby besonders nach?
Erstmal mache ich unser Programm, das nimmt schon Zeit in Anspruch. Mit Stabi-Programm und Stretchen brauchst du auch deine zwei Stunden. Dann ist der Vormittag schon verplant. Meine Frau und ich kochen gerne. Der Kühlschrank ist voll, wir leben gesund, probieren viele Sachen aus. Und dann müssen wir mit dem Hund spazierengehen.
Die Decke fällt Ihnen also nicht auf den Kopf?
Nein, noch nicht. Obwohl wir erst seit einer knappen Woche in gefühlter Quarantäne sind, fühlt es sich aber schon an wie drei.
Was löst der Gedanke in Ihnen aus, dass es noch wochenlang so weitgehen könnte? Die Lage ist ja anders als in einer Sommerpause, wenn der Tag X klar definiert ist.
Im Sommer bist du zudem unterwegs, machst Urlaub. Was jetzt positiv ist: Du hast Zeit für einige Dinge, für die sonst keine bleibt. Zu Hause kannst du entspannt mal wieder ein paar Brettspiele rausholen oder so. Es kann auch ein paar Vorteile haben. Dass es mindestens vier Wochen so bleibt, ist aktuell allerdings noch schwer vorstellbar.
Als Mannschaft haben Sie vergangene Woche ein Zeichen gesetzt, indem Sie als erstes Bundesliga-Team verkündet haben, auf einen Teil der Gehälter zu verzichten. Wie kam das zustande?
Es ist klar, dass im Worst Case der Verein auf sehr viele fix eingeplante Millionen verzichten müsste. Wir haben erfahren, dass einige Mitarbeiter in Kurzarbeit nach Hause geschickt worden sind. Da haben wir uns zusammengesetzt und versucht, eine Lösung zu finden. Wir betonen immer im Verein, dass wir eine Familie sind. Dann sollte man das auch leben. Deshalb war die Entscheidung relativ easy, weil wir dem einen oder anderen in dieser Phase sicher enorm weiterhelfen können.
Gehaltsverzicht ein guter Zug
Die Bayern-Profis haben erklärt, dass sie auf 20 Prozent verzichten. Wie sieht es bei Borussia im Detail aus?
Der FC Bayern hat es kommuniziert, wir haben klar gesagt, dass wir nicht darüber sprechen. Ich denke, es ist ein sehr guter Zug von der Mannschaft. Jetzt ist dem Verein erst einmal geholfen. Ich denke, es ist ein Zeichen an die Fans, dass wir es nicht immer nur predigen, dass wir aufeinander schauen.
Mehr Bodenständigkeit, etwas Beruhigung auf dem Transfermarkt und bei der Gehaltsentwicklung – in der Krise wird bei vielen die Hoffnung geweckt, dass sich ein paar Defizite des Fußballgeschäfts aus den vergangenen Jahren zum Guten wenden. Wie optimistisch sind Sie?
Interessante Frage. Ich glaube, das lässt sich nicht nur auf den Fußball, sondern auf die gesamte Gesellschaft und die Wirtschaft beziehen. Jeder bekommt in dieser Situation vor Augen geführt, wie schnell der Alltag komplett auf den Kopf gestellt werden kann. Das wird bei vielen zu einem Umdenken führen. Es werden sicher viele Vereine nicht mehr in den Dimensionen wirtschaften, in deren Richtung der Trend zuletzt ging. Der wird eher nach unten gehen – und die Vereine werden hoffentlich mehr Rücklagen schaffen.
Wie sehen Sie als Spieler die Situation bei Borussia?
Borussia ist gut aufgestellt, andere dürften größere Probleme bekommen. Ich fühle mich hier sehr gut aufgehoben. Was Max Eberl, Stephan Schippers und alle anderen geleistet haben, kann sich sehen lassen. Davon wird sich der eine oder andere vielleicht etwas abschauen
Wie wird die Lage in Ihrer Heimat bewertet?
Es sind andere Dimensionen. Die enormen Zuschauereinnahmen wie in Deutschland gibt es in Österreich nicht. Aber Spiele ohne Zuschauer kann man dort vielleicht etwas besser verkraften als in Deutschland.
Im Sommer hätte für Sie die EM-Teilnahme mit Österreich angestanden. Auch wenn niemand an der Richtigkeit der Entscheidung zweifelt: War die Enttäuschung groß, dass Sie noch ein Jahr warten müssen?
Auf jeden Fall. Ich hätte sehr gerne gespielt. Vor allem, weil wir eine super Mannschaft beisammen haben, in der fast jeder in Top-Form ist. Wir hatten einen Aufwärtstrend, haben die Quali geschafft, super Grundlagen waren gelegt bei der Planung der Vorbereitung. Wir müssen die Situation jetzt so annehmen. Für uns spricht, dass wir eine junge Mannschaft haben. Deshalb mache ich mir keine Sorgen.
Kabinen-Klima fehlt dem Profi
Was vermissen Sie als Fußballprofi am meisten?
Das Zusammenkommen mit der Mannschaft fehlt einem schon. Wir sind Mannschaftssportler und kennen es nicht anders. Jetzt macht jeder zu Hause sein Ding. Der Teamspirit in der Kabine oder das gegenseitige Pushen im Training gehen einem ab. Das lässt sich auch nicht kompensieren.
Als Sie nach dem Derbysieg mit den Fans, die vor dem Stadion warteten, gefeiert haben, war zwar schon keine Normalität mehr angesagt. Ganz vernünftig war es auch nicht. Aber wenn man das außen vor lässt: Zehren Sie noch von den Emotionen dieses Abends?
Es war schon etwas Außergewöhnliches, aber für einige war es sicher etwas fahrlässig, weil die Situation zu dem Zeitpunkt schon ernst war. Heute würde das wohl aus gutem Grund nicht mehr so ablaufen, damals haben wir damit einen sehr positiven Abschluss gehabt. Wenn es wieder losgeht, haben wir das noch im Hinterkopf. Das bleibt.
Sie sind durch den Derbysieg im Nachholspiel zurück auf Platz vier gesprungen. Fühlt er sich angesichts der aktuellen Ungewissheit, ob es überhaupt noch weitergeht, besonders wichtig an?
Wir gehen schon davon aus, dass noch weitergespielt wird. Aber Fakt ist, dass wir jeden Punkt brauchen. Es wird bis zum Schluss sehr eng bleiben. Von daher war es wichtig, vorne dranzubleiben.
Wissen, dass Fans hinter uns stehen
Wollen Sie den Fans noch ein paar Worte mitgeben?
Für alle ist es eine schwierige Situation. Ich glaube, dass die Fans sich auch wünschen, dass es bald weitergeht. Auch wenn es dann Spiele ohne Zuschauer gibt, wissen wir, was für eine Masse hinter uns steht. Und irgendwann können wir auch endlich wieder mit den Fans feiern. Aber wir müssen jetzt alle damit klarkommen, wie es ist, und das Beste daraus machen.