Auftakt einer glorreichen Epoche Weisweilers Meisterstück vor 50 Jahren
Mönchengladbach - „Die Leute waren schockiert und hatten Angst“, erinnert sich Herbert Laumen (76). Er meint den Moment, nachdem Borussia am 30. April 1970 in der 85. Minute nach einer 4:0-Führung gegen den Hamburger SV den 4:3-Anschlusstreffer kassiert hat.
Auf dem Gladbacher Bökelberg liegen in diesen Sekunden die Nerven blank. Einige Minuten später ertönt der erlösende Abpfiff – endlich. Borussia Mönchengladbach feiert am 33. Spieltag vorzeitig die erste Deutsche Meisterschaft.
Deutscher Meister 1970: Borussia verpasste mehrmals den Matchball
Um 21.50 Uhr streckt Günter Netzer (75) an diesem Donnerstagabend die Schale in die Höhe. Es ist das gute Ende einer wochenlangen Achterbahnfahrt, auf der es Borussia durch drei 0:1-Niederlagen in Folge gegen den FC Bayern München, Hannover 96 und Rot-Weiss Essen mehrmals verpasst hat, die Meisterschaft klarzumachen.
Es ist aber auch der Startschuss einer Titel-Ära unter Trainer Hennes Weisweiler († 63), der bereits vor der Saison in der „Rheinischen Post“ prognostiziert hatte: „Ob wir diesmal Deutscher Meister werden, kann ich natürlich vorher nicht sagen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit Bayern München echt um die Spitze mitspielen werden.“
Weisweilers Plan von gepflegtem Offensiv-Fußball mit den inzwischen gereiften Fohlen um Netzer, Laumen, Jupp Heynckes (74) und Co. ging voll auf. Die umgerechnet 74 Punkte sind bis heute Vereinsrekord.
Gladbach: Herbert Laumen heiratet drei Tage vor dem HSV-Spiel
Das Meisterjahr war jedoch gespickt von einigen Kuriositäten, die im heutigen Fußball-Geschäft undenkbar wären. Nur drei Tage vor dem entscheidenden Spiel gegen den HSV trat Borussias Top-Torjäger Laumen vor den Altar, um seine Elsbeth zu heiraten. „Was glauben Sie, was das für ein Theater mit Hennes Weisweiler gegeben hat“, blickt Laumen, der die ganze Mannschaft eingeladen hatte, zurück. Um 22 Uhr war für die prominenten Gäste Schluss.
In der heutigen Zeit ebenfalls unvorstellbar: Manager Helmut Grashoff († 69) ließ in der Hinrunde ein Bundesligaspiel gegen Hannover einfach mal von Samstag auf Freitag vorverlegen. Der Grund: Weisweiler feierte am Freitag seinen 50. Geburtstag. Die Spieler schenkten ihrem Trainer ein 5:0, die gemeinsame Party konnte starten.
Diese und noch mehr Anekdoten hat Borussias Medienabteilung seit dem vergangenen Sommer täglich über den Twitter-Account des vereinseigenen Museums (@Fohlenwelt) verbreitet. So konnten die Gladbach-Fans das Meisterjahr noch mal in „Echtzeit“ miterleben.
„Beim Sichten alter Zeitungsartikel ist aufgefallen, dass schon damals täglich über Borussia berichtet wurde. Und wie heute waren es auch damals wichtige Nachrichten, aber auch bunte Themen und Randgeschichten, die aber genau der Kitt sind, aus dem neben den absolvierten Spielen das Gesamtbild einer Saison entsteht“, erklärt Mediendirektor Markus Aretz (53) die Idee dahinter.
Hennes Weisweiler bekommt Sonderausstellung im Vereinsmuseum
Die Meisterschaft 1970 war der Grundstein für ein glorreiches Jahrzehnt der Borussen, die bis 1979 insgesamt acht nationale und internationale Titel gewannen. Aus diesem Grund hat der Verein einer seiner größten Legenden nun eine Sonderausstellung im Vereinsmuseum gewidmet.
Im Mittelpunkt der Ausstellung „Weisweilers Meisterstück“ stehen neben der überragenden Trainerfigur die damaligen Spieler der Fohlenelf, der Verlauf der Saison 1969/70 und die Feierlichkeiten der Fohlen und ihrer Fans in Mönchengladbach. Dank zahlreicher Bilder, Videos und Exponaten können die Besucher tief in die Saison eintauchen.
Besucht werden kann diese allerdings erst wieder mit Wiederöffnung der Fohlenwelt, die zurzeit aufgrund der Corona-Pandemie vorschriftsmäßig geschlossen hat. Die Gladbach-Anhänger müssen sich also noch ein wenig gedulden, bis sie eine Zeitreise in frühere Borussen-Jahre unternehmen können.