„Einige hatten uns abgeschrieben“ Vor Finale um die Königsklasse: Gladbachs „Fußballgott“ warnt vor zu viel Sicherheit
Mönchengladbach - Er ist neben Patrick Herrmann (29) der einzige Borusse im aktuellen Kader, der mit den Fohlen den steilen Aufstieg von der Relegation in die Champions League mitgemacht hat. Am Samstag kann Tony Jantschke (30) mit Gladbach gegen Hertha BSC zum dritten Mal den Sprung in die Gruppenphase der Champions League packen.
Wie der „Fußballgott“ mit dem möglichen Riesenerfolg umgeht? Gewohnt abgeklärt und gleichzeitig entschlossen – für diese Art schätzen sie Jantschke bei Borussia auf und neben dem Platz. Im GladbachLIVE-Interview spricht er über die erste Saison unter Marco Rose (43), seine persönliche Zukunft am Niederrhein und die große Frage, die sich in der Coronakrise für den Profifußball stellt: Was wird sich nachhaltig verändern?
Tony Jantschke, Sie waren 2015 dabei, als Borussia sich erstmals direkt für die Königsklasse qualifiziert hat. Wie fühlt es sich im Vergleich dazu heute an?
Verschiedene Jahre miteinander zu vergleichen, ist immer schwierig: andere Mannschaften, andere Trainer, andere Situationen. Fakt ist: Wir haben in dieser Saison immer gesagt, dass wir Spiele gewinnen wollen. So ist es am Wochenende auch. Und wenn uns das gelingt, sind wir sicher für die Champions League qualifiziert. Dementsprechend gehen wir das an.
„Spiele gewinnen“ ist das abgewandelte „Wir denken von Spiel zu Spiel“ aus alten Tagen. Wie sehr hat die Mannschaft in den vergangenen Wochen doch auf die Tabelle geschaut und sich mal gefreut, mal gehadert?
Es bringt ja nichts. Nach Freiburg und Bayern, den beiden Niederlagen, hatten uns einige schon abgeschrieben. Wenn du dir dann große Gedanken machst, verlierst du den Fokus. Wir sind mit zwei Siegen gut zurückgekommen. Man sieht, dass in der Bundesliga alles passieren kann. Mannschaften, die vermeintlich im Niemandsland stehen, schlagen welche, für die es noch um richtig viel geht. Deshalb habe ich gesagt: Wir wollen Spiele gewinnen. Dass das nicht immer klappt, weil der Gegner auch etwas vorhat, ist klar. Aber wir haben uns da nicht verrückt machen lassen, weder von außen noch intern.
Jantschke: Erst am Samstag zum 17.20 Uhr wird abgerechnet
Am Samstag geht es gegen den Gegner, der Ihnen diese gute Ausgangslage mit einem Sieg gegen Leverkusen ermöglicht hat. Sehr, sehr wahrscheinlich reicht Borussia deshalb ein Punkt. Wie groß ist die Gefahr, den letzten Spieltag auf die leichte Schulter zu nehmen?
Das Gefühl hat keiner bei uns. Alle wissen, dass alles passieren kann. Deshalb haben wir vollen Fokus und es wird auch keiner anfangen, auf Unentschieden zu spielen. Wir wollen gewinnen und so werden wir es angehen. Dann werden wir am Samstag um 17.20 Uhr wissen, was dabei herausgekommen ist.
Platz fünf kann Ihnen schon lange niemand mehr nehmen. 62 Punkte sind sie zweitbeste Ausbeute seit 1984. Sie haben es gesagt: Jahre zu vergleichen, ist schwierig. Wie ordnen Sie die Saison dennoch jetzt schon ein?
Sie kennen mich lange genug, die Saison ist noch nicht vorbei. 62 Punkte hin oder her – wir haben einfach noch ein Spiel. Danach können wir dann darüber reden, was gut gelaufen ist und was nicht so gut war. Sicher ist die Punktzahl mehr als ordentlich, auch im statistischen Vergleich. Aber für mich ist es noch zu früh, um ein Fazit zu ziehen.
Sie hatten bislang 13 Startelfeinsätze, haben in den vergangenen fünf Jahren nur einmal mehr Minuten bekommen. Insgesamt standen sie als dritter Innenverteidiger öfter mal im Fokus. Lassen Sie denn schon ein persönliches Fazit zu?
Ich habe immer gesagt: Wenn ich gesund bin, mache ich meine Spiele. Es wären diese Saison auch noch mehr geworden, wenn ich nicht in der Hin- und Rückrunde jeweils einen Muskelfaserriss gehabt hätte. Das gehört leider dazu. In meinem Alter ist es nicht mehr so entscheidend, ob du 16, 17 oder 22 Spiele machst. Du willst Spaß haben, eine gute und erfolgreiche Mannschaft haben und du willst deinen Teil dazu beitragen.
Wenn der Trainer Ihnen beim Ausfall eines Kollegen sofort eine Startelf-Garantie ausspricht und Ihre Zuverlässigkeit preist: Geht das nach all den Jahren trotzdem noch runter wie Öl oder bräuchten Sie die Bestätigung gar nicht mehr?
Dafür müsste ich wahrscheinlich mehr Interviews lesen. Da ich in der Hinsicht nicht so affin bin, kann ich das nur schwer sagen. Aber ich weiß ja, wie wir intern miteinander umgehen und miteinander reden. Demzufolge fühle ich mich schon gut aufgehoben. Ich glaube, wir wissen, was wir aneinander haben. Der Trainer hat es auch vor der Mannschaft gesagt. Deshalb fühle ich mich sehr wohl.
Tony Jantschke blendet Einflüsse von außen aus
Was hat Borussia denn an Marco Rose?
Er ist ein sehr ehrgeiziger Trainer, der eine etwas andere Marschroute hier reingebracht hat mit dem Pressing, dem aggressiven Spiel gegen den Ball und dem höheren Verteidigen. Da gibt es schon genügend Punkte. Hinzu kommt diese Lockerheit nach außen hin, besonders am Saisonende, als wir zwei Niederlagen in Folge hatten und einige behauptet haben, wir gäben uns zufrieden. Das Gesamtpaket passt sehr gut zur Borussia.
Haben diese Zweifel nach dem Bayern-Spiel Sie noch einmal angestachelt?
Das weiß ich nicht. Es gibt vielleicht Spieler bei uns, die es anstachelt, wenn sie von den Medien abgeschrieben werden. Ich lasse mich davon jedenfalls nicht beeinflussen und betrachte diese Dinge sehr nüchtern.
Das Thema dürfte bei Ihnen nicht oberste Priorität genießen, aber Sie haben sehr lange kein Tor mehr erzielt, zuletzt im Dezember 2014 gegen Hertha. Wie gerne würden Sie dieses Gefühl mal wieder erleben?
Das war für mich noch nie ein Thema. Für mich steht immer der Erfolg der Mannschaft im Vordergrund. Wenn der da ist, ist jeder Einzelne auch erfolgreich. Demzufolge ist es für mich nicht entscheidend. Es gibt sicherlich auch Verteidiger, die weniger als fünf Tore gemacht haben. Deshalb ist es nicht sooo schlecht. Wenn das mein letztes Tor gewesen sein sollte, ist es halt so.
In einem Jahr läuft Ihr Vertrag aus. Mitten in der Krise war das Thema nicht so im Fokus. Aber die Umstände – Erfahrung, Leistungen in der Saison, Wertschätzung des Trainers – klingen fast nach einem Selbstläufer in Sachen Verlängerung. Wie ist der Stand?
Ich hoffe, dass es 2021 noch nicht vorbei ist. Ich habe schon noch das eine oder andere gute Jahr vor mir. Bei Borussia bin ich sehr zufrieden – ich denke und hoffe, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Sicherlich haben wir uns ein paar Mal ausgetauscht. Dann war es aber auch logisch, dass in so einer Krise wie Corona andere Themen im Vordergrund standen. Wir werden uns zusammensetzen und gucken. Hoffentlich geht es weiter. Dazu gehören immer zwei Seiten, und ich kann ja nur für mich sprechen.
Am Samstag steht auch das letzte Geisterspiel der Saison an. Realistisch betrachtet, wird es noch länger dauern, bis die Stadien wieder voll sein können. Wie sehr haben Sie sich an die Umstände gewöhnt?
Ich bin ja ein Typ, der das recht nüchtern betrachtet. Dinge, die man nicht ändern kann, sind so, wie sie sind. Es bringt nichts, dauernd zu sagen, wie mies das ist. Man muss es annehmen. Jeder Fußballer hofft, dass wir bald wieder Zuschauer begrüßen können. Wann und wie, das weiß keiner. Man sieht in der gesamten Wirtschaft, wie die Hygienekonzepte angepasst werden müssen. So geht es uns auch. Die ganze Gesellschaft hofft, dass bald wieder eine gewisse Normalität eintritt. Aber bis dahin müssen wir mit dem zurechtkommen, was die Lage zulässt.
„Max Eberl hat uns alles sehr transparent wiedergegeben“
Dresdens Chris Löwe hat sich über den Umgang der DFL mit seinem Verein echauffiert. Es gibt ein neues Spielerbündnis, das sich für mehr Mitspracherechte für Profis einsetzt. Lars Stindl gehört dazu. Sehen Sie für sich Nachholbedarf, wenn es darum geht, sich Gehör zu verschaffen?
Schwieriges Thema. Ich glaube, dass ich zu vielen Sachen eine klare Meinung habe. Aber diese Meinung ist nicht immer für die Öffentlichkeit bestimmt. Daher werde ich das mit Dynamo Dresden und der DFL gar nicht groß kommentieren. Es gibt immer zwei Seiten, jeder sollte sich da seine eigene Meinung bilden.
Und wie bewerten Sie das angesprochene Spielerbündnis?
Ich persönlich hatte nicht das Gefühl, dass ich kein Mitspracherecht hatte. Für mich ist das mein Job. Mein Verein und die DFL haben alles dafür getan, dass es weitergehen kann, dass wir unseren Beruf wieder ausführen können. Max Eberl hat uns im Mannschaftsrat alles sehr transparent wiedergegeben. Die Gesundheit steht an erster Stelle, und man sieht auch, dass das Konzept sehr gut funktioniert hat. Mehr gibt es da nicht zu sagen, was nicht heißt, dass ich das nicht unterstützen würde. Ich kann nur sagen, dass ich da kein Problem gesehen habe.
Als der Restart-Termin feststand, schien sich die Euphorie zahlreicher Fans in Grenzen zu halten. Auch aus der Politik gab es kritische Stimmen. Konnten Sie die Vorbehalte damals verstehen?
Ich glaube, das ist normal. In einer Krise, in der jeder zurückstecken muss und nicht weiß, was die Zukunft bringt, probiert jeder, für sich Lösungen zu finden. Bei dem einen war vielleicht mehr Öffnung möglich, bei dem anderen weniger. Ich denke mir immer: Wenn es einem schlecht geht, warum soll es dann allen schlecht gehen? Wenn eine Öffnung mit gewissen Konzepten möglich ist, sollte man das auch zulassen. Es trifft den Fußball trotzdem, dass keine Großveranstaltungen erlaubt sind. Es ist ja nicht so, dass er vollständig zur Normalität zurückgekehrt ist. Man hat probiert, den Wirtschaftszweig mit allen Mitarbeitern aufrechtzuerhalten. Und das ist zum Glück bisher auch gelungen.
Seit Beginn der Krise gibt es die Diskussion, ob sich gewisse Dinge ändern müssen im Profifußball. Über Gehaltsobergrenzen wurde diskutiert. Niemand weiß, wie sich der Transfermarkt entwickelt. Wie lautet Ihre Prognose: Wird es nachhaltige Veränderungen geben, muss es überhaupt welche geben?
Auch das ist wieder ein so Thema: Wenn ich da antworte, wären es nur Stichpunkte und am Ende wahrscheinlich nur die Hälfte dessen, was wichtig ist, weil es sehr komplexe Themen sind. Ich glaube schon, dass man im Fußball über gewisse Grenzen nachdenken sollte. Das wollen auch viele. Aber es ist schwer umsetzbar, weil ein Salary Cap allein schon schwer mit EU-Recht vereinbar wäre. Es gibt viele Hürden. Trotzdem sind da einige Punkte, wo man sicherlich versuchen kann, die Schraube zurückzudrehen.
Am 27. Juni geht die Saison tatsächlich zu Ende. Sonst geht es zu dieser Zeit schon wieder los. Wissen Sie, wie Ihre Pause aussehen wird? Geht es in den Urlaub oder vor allem in die Heimat?
Ich werde größtenteils in der Heimat sein und zwischendurch eine Woche in Deutschland Urlaub machen. Dieses Jahr ist eben alles ein wenig anders. Das ist es, worauf ich vorhin hinauswollte: Jeder hat irgendwo zurückzustecken oder etwas zu ändern. Dann gibt es eben den längeren Heimaturlaub.
Sprechen wir noch einmal im Konjunktiv über die Champions League: Nehmen wir an, es würde klappen am Samstag. Wie wichtig wäre das für die Entwicklung der Mannschaft und wie würden Sie das einordnen in Ihre Laufbahn?
Gar nicht, weil es einfach noch hypothetisch ist.